Die Jüdische Geschichte Forths
Erinnern heißt handeln und erhalten

- Foto: Paulina Klenner
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- Das Schnaittacher Haus mit Stele an der Forther Hauptstraße Nr. 47 mit der Inschrift: „In unserer Mitte geboren, in Hass und Schmerz verloren. Nie wieder, wie schon einmal, schweigen zu Unrecht und Gewalt. Wir gedenken derer, derer kein Kindeskind gedenken kann.”
- Foto: Paulina Klenner
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Die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Forth ist ein prägender Bestandteil der Identität Eckentals. Bereits im späten 16. Jahrhundert ließen sich hier vereinzelt jüdische Familien nieder, deren wirtschaftliches und gesellschaftliches Wirken das Leben in der Region nachhaltig prägte. Trotz ihrer Beiträge für die Gesellschaft wurden diese Familien im 20. Jahrhundert systematisch ausgegrenzt, diskriminiert und ermordet. Dieser fortwährende Antisemitismus manifestierte sich in zahlreichen staatlichen und gesellschaftlichen Maßnahmen und fand in der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 einen erschütternden Wendepunkt, als die letzten jüdischen Bewohner Forths zwangsweise aus ihrer Heimat deportiert wurden. In diesem Bericht soll die bewegende Geschichte der jüdischen Gemeinde in Forth aufgezeigt werden - auch im Hinblick auf die aktuellen politischen Entwicklungen, die in bedenklicher Weise an die Vergangenheit erinnern - sowie die Vergangenheit und Zukunft des Schnaittacher Hauses, was in einem Interview mit Frau Dr. Martina Switalski beleuchtet wird.
Vergangen aber nicht vergessen –
die Geschichte der Juden in Forth

- Das ehemalige Haus Schwarzhaupt der „Schnittwaarenhandlung v. Carl Schwarzhaupt“ an der Kurt-Schumacher-Straße Nr. 2
- Foto: Paulina Klenner
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Wilhelm Helds Ortschronik berichtet, dass die Geschichte der Jüdinnen und Juden im Eckentaler Ortsteil Forth bereits im 16. Jahrhundert begann. Diese Ansiedlung wurde von den damaligen Freiherrn von Bünau gerne gesehen, da durch die Schutzzahlungen und die zusätzlichen Darlehen der jüdischen Familien ökonomische Chancen für das mittelfränkische Dorf aufgedeckt wurden und sich Forth bis zum Anfang des 18. Jahrhunderts in einen „marktähnlichen Ort” entwickelte, der es schaffte, mehr Handelsleute anzuziehen. So kam es, dass im Jahre 1736 die seit langem bestehende Gebetsstube in einem Privathaus durch den Bau der Synagoge abgelöst wurde. Als im Jahr 1813 das Judenedikt erlassen wurde, wurden die Deutschen jüdischen Glaubens als „normale” Bürger anerkannt und mussten keine Abgaben mehr zahlen. Über Jahrzehnte hinweg führten Juden und Christen in Forth ein freundliches Neben- und Miteinander, was man wohl als „Blütezeit der jüdischen Forther Geschichte” bezeichnen kann.
Um das Jahr 1865 wurde mithilfe von Leihscheinen eine Schule für jüdische Kinder erbaut, für die die Schulpflicht ab dem Jahr 1804 galt. Bis zum Bau der „Judenschul”, wie sie von den Einwohnern genannt wurde, wurden die Kinder noch in sogenannten „Winkelschulen” unterrichtet. Auch in anderen Gemeinden wie Ermreuth, Schnaittach und Dormitz, sowie größeren Städten wie Erlangen, Fürth, Lauf an der Pegnitz und Forchheim gab es zu dieser Zeit jüdische Gemeinden mit eigenen Synagogen, Schulen und Friedhöfen. Doch bereits im Jahr 1922, nach einigen Lehrerwechseln, musste die „Judenschul” in Forth aufgrund von zu geringer Schülerzahl schließen. Die wenigen jüdischen Kinder erhielten nun ihren Unterricht in der evangelischen Schule Forths. Der Religions- und Hebräischunterricht fand zwar statt, allerdings mit zwei Lehrern, die eigens von Fürth und später aus Erlangen nach Forth anreisen mussten. Zu diesem Zeitpunkt lag die Zahl der jüdischen Dorfbewohner schon bei nur knapp 30 Personen, da durch die Landflucht und die immer größer werdende Macht der NSDAP viele Jüdinnen und Juden bereits umgezogen oder in die USA ausgewandert waren.
Die folgenden Jahre wurden durch den immer stärker werdenden Antisemitismus beschwerlicher für die Deutschen jüdischen Glaubens. Geschäfte wurden boykottiert, Personen misshandelt oder ausgegrenzt und ihr Dasein aufs Schlimmste verhöhnt. Mit dem Erlassen der Nürnberger Gesetze im Jahr 1935, die auch in Forth rigoros umgesetzt wurden, wurden diese Straftaten nicht mehr als solche wahrgenommen, Straftätern wurde Recht gegeben und Täter- und Opferrolle wurden ins Gegenteil verkehrt. Ab diesem Zeitpunkt wurde das Leben für Juden sehr schwer - jüdische Kinder durften ab Sommer 1935 beispielsweise nicht mehr in die Schule - bis der Hass in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 mit der Deportation der letzten Juden Forths den Zenit erreichte. Die Juden wurden in das ehemalige Feuerwehrhaus gesperrt, von wo sie dann nach Erlangen in das ehemalige Rathaus überführt wurden. Von dort aus wurden sie deportiert - nach Theresienstadt, Auschwitz, Treblinka und Riga. Mitglieder der SA verschafften sich Zutritt zu Häusern, zerstörten alles, plünderten und zerrten ihre Opfer gewaltsam aus den Stuben hinaus ins Freie. Die Synagoge wurde erst geschändet und dann abgerissen, unter dem Vorwand der Baufälligkeit. Doch die Sakralgegenstände versuchte Fritz Kimmelstiel nach München in Sicherheit zu bringen. Allerdings liegen über die Abrissart und das genaue Zerstörungsdatum widersprüchliche Aussagen vor, denn es war Plan der NS-Männer, die Synagoge aus den Köpfen und Landkarten zu löschen. Seit diesem Tag wurden hier keine Gottesdienste mehr gehalten, lebten keine Juden mehr in Forth und die israelitische Gemeinde wurde aufgelöst.
Die Häuser und Besitztümer der Ermordeten und Fliehenden gelangten in die Hände der Gemeinde, wurden weiterverkauft und versteigert. Dennoch sind sie bis heute erhalten geblieben, wie das Schwarzhaupthaus oder aber auch das Schnaittacher Haus, über dessen Zukunft sich die Gemüter schon seit einiger Zeit den Kopf zerbrechen.
Wie steht es um eine der letzten jüdischen
Erinnerung? – ein Interview mit
Frau Dr. Martina Switalski

- Die Praktikanten des wochenblatts im Gespräch mit Dr. Martina Switalski im Bild von links nach Rechts: Frau Dr. Martina Switalski, Aryna Starchenko, Paulina Klenner, Jakob Käfer und Robin Chalupka
- Foto: Robin Chalupka
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„Wir sind dafür verantwortlich, denn das Haus hat schon so viele schlimme Epochen hinter sich gebracht, dass es einfach zur Ruhe kommen darf, das kostet aber viel Geld”, sagte Frau Dr. Martina Switalski in einem Interview mit den Praktikanten des Wochenblatts aus dem Gymnasium Eckental am 09. April 2025.
Das Schnaittacher Haus wurde seit 1813 auch von jüdischen Familien bewohnt. Vor der Reichspogromnacht wohnten die Geschwister Rosa und Pauline Schnaittacher in dem Haus, als sie in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 von Männern der Forther SA ins Freie gezerrt und gemeinsam mit der Familie Kohlmeier in das Feuerwehrhaus gesperrt wurden, von wo man sie dann nach Erlangen brachte. „Die Schnaittacher Schwestern wurden am 23. September 1942 nach Theresienstadt deportiert. Als Nummer 646 starb Pauline drei Wochen später, am 10. Oktober 1942, geschwächt und ausgehungert an Enteritis mit 81 Jahren. Ihr folgte am 02. Februar 1943 Nr. 647, die 73-jährige Rosa, die laut Totenschein an „Herzschwäche” gestorben war”, teilte Frau Dr. Switalski mit. Seit Kriegsende wird das arisierte Schnaittacher Haus in Forth genutzt. 1946 zogen Flüchtlinge aus dem Sudetenland dort ein, doch nachdem sie sich eine Lebensgrundlage geschaffen hatten, kam das Haus immer mehr herunter und in den 1980er Jahren wurde das Haus zu einem Wohnheim für Schutzsuchende. „Ich nenne es [deshalb] ein vulnerabeles Haus, denn es ist immer noch verwundbar”, meinte Frau Dr. Martina Switalski. Danach zogen Obdachlose in das Haus ein und seit einigen Jahren steht es nun leer. Seit der Gebietsreform 1972 steht das Haus unter der Verwaltung des Markt Eckentals und dessen Gemeinderats, der die Nutzung des Hauses für ein Café oder ein Museum im unteren Bereich, sowie die Umnutzung zu einem Mehrparteienhaus für durchaus denkbar hält. Frau Dr. Switalski plädiert dafür, im Haus eine Informationsstelle zur Geschichte des Hauses und der Geschichte der Forther Deutschen jüdischen Glaubens zu machen. „Und das ich sage bewusst so - Deutsche jüdischen Glaubens - denn es waren zunächst Deutsche […]”, erklärte Dr. Martina Switalski. Denn wenn man generalisierend „die Juden” sagt, stempele man diese Personen schon im Vorfeld ab, meinte sie weiter. Laut den Protokollen der Gemeinderatssitzung ist eine Renovierung nur mit Zuschüssen der Regierung Mittelfrankens denkbar, da einige tiefe Risse das Haus durchziehen und die Statik des Gebäudes zu wünschen übrig lässt. Momentan wäre es sehr teuer, es in Stand zu setzen.
Auch Carol, die Nichte von Rosa und Pauline Schnaittacher, reiste eigens aus Vermont / USA an und will das Erbe ihrer Vorfahren erhalten wissen. „Es ist das letzte jüdische Haus, das wir haben”, sagt Frau Dr. Switalski.
Auch wenn die jüdische Gemeinde in Forth vertrieben wurde und die Taten vergangen zu sein scheinen, sind die Erinnerung an ihr Schicksal und das fortwährende geschichtliche Erbe bis heute immer noch von sehr großer Bedeutung, denn Antisemitismus ist kein Kapitel, das mit dem Ende des Nationalsozialismus abgeschlossen wurde.
Gefahren für eine demokratische Gesellschaft auch in unserer Zeit?
Letztes Jahr wurden über 5000 Straftaten mit antisemitischem Motiv in Deutschland von der Polizei registriert. Diese Zahlen sind aber nur eine Weiterführung eines international stattfindenden Trends: Im Jahr 2022 wurden über 2600 solcher Vorfälle festgehalten, im nächsten Jahr wuchs diese Zahl auf erschreckende 5600 - die Anzahl judenfeindlicher Delikte hatte sich also im Laufe eines Jahres mehr als verdoppelt. Diese Zahlen wirken sich natürlich auch auf die jüdische Bevölkerung in Deutschland aus: Dieses „explosive” Wachstum ist unter anderem auf den Terroranschlag der Hamas zurückzuführen, seither ist der Antisemitismus in Deutschland immer mehr zu spüren. Demnach gaben bei einer Umfrage aus dem Jahr 2023 ungefähr 60% der befragten Jüdinnen und Juden an, das sie keine jüdischen Symbole in der Öffentlichkeit trugen und Angst vor Belästigung hätten, 51% der Befragten gaben zu, schon mal darüber nachgedacht zu haben, auszuwandern. 42% der jüdischen Gemeinden (Stand: Oktober 2024) waren schon einmal von antisemitischen Vorfällen jeglicher Art betroffen, seien es Schmierereien, Beleidigungen, Zuschriften oder Drohungen. Allgemein ist die aktive Teilnahme in jüdischen Gemeinden weit zurückgegangen und eine allgemeine Unsicherheit macht sich breit.
Das alles sind klare Anzeichen dafür, dass der Antisemitismus in Deutschland wieder zunimmt und ist somit ein wichtiger Grund, sich umso mehr für die Werte der modernen Demokratie, vor allem die der Gleichberechtigung aller Menschen, einzusetzen. Es ist wichtig über den Holocaust - auch lokal - aufzuklären und so viele Menschen wie möglich für das Thema Antisemitismus zu sensibilisieren und sich damit aktiv gegen dessen Normalisierung in unserer Gesellschaft zu stellen, denn gerade angesichts dieser alarmierenden Entwicklungen darf unsere gesellschaftliche Verantwortung nicht enden. Deshalb ist es auch heute wichtiger denn je, seine Stimme denen zu geben, die sich für Demokratie, Menschenrechte und Gleichheit einsetzten, damit sich die Schrecken der Vergangenheit nicht wiederholen. So tut es auch eine Interessengruppe vor Ort, über deren Aufgaben und Handeln im Folgenden berichtet wird.
Interessengruppe und „Peer Guides” –
Geschichte weiterdenken
Seit dem Besuch Albert Kimmelstiels, dem einzigen Überlebenden aus Forth des KZ Auschwitz, im Jahr 2008 gibt es die Interessengruppe „jüdische Geschichte in Forth”, bestehend aus ungefähr 15 geschichtsinteressierten Erwachsenen, darunter Frau Dr. Switalski und Manfred Bachmayer. Sie kümmert sich um das jährliche Gedenken zum 9. November, organisiert Führungen, analog und mit Actionbound, eine Art Audioguide mit zusätzlichen Videoauszügen aus Interviews mit Zeitzeugen. Die Gruppe initiierte in Zusammenarbeit mit dem Marktgemeinderat die Gedenkstele vor dem Schnaittacher Haus, die 2009 enthüllt wurde. Die nächste Aktion ist am 8. Mai. Zusammen mit den „Peer Guides” – eine Gruppe engagierter Schülerinnen und Schüler des Gymnasium Eckentals – wird eine Führung zum 80. Jahrestags des Ende des Zweiten Weltkrieges durch Forth geplant. „Geschichte auch zum daran arbeiten, nicht nur zum ansehen”, meinte Dr. Switalski; das würde auch mit den „Peer Guides” unterstützt werden, die zum Anfang auch ein Ende setzten, erklärte sie weiter.
Wie wir sehen, kann jeder seinen Beitrag leisten und niemand sollte wegsehen, wenn Unrecht geschieht, denn trotz umfassender Aufklärung ist Antisemitismus auch in unserer Zeit immer noch weit verbreitet. Umso entscheidender ist es, ihm durch Zivilcourage, Bildung und einer klaren Haltung für eine offene und gerechte Gesellschaft entgegenzutreten, sowie das Andenken und die Spuren des jüdischen Lebens im Kleinen wie im Großen zu erhalten und zu erforschen.






Autor:Praktikantenprojekt wochenblatt aus Eckental |
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