Leserbrief
Auf die Dauer hilft nur Bauer

Ein klein wenig schlechtes Gewissen hatte ich schon, aber ich war nicht dabei bei den großen Bauernprotesten.Mir fehlte einfach die Empörung, nachdem doch die Steuerbefreiung für landwirtschaftliche Maschinen weiterhin möglich war, und die Wut, sich für die 21 ct/l Steuervergünstigung beim Agrardiesel einzusetzen. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass es doch eigentlich um etwas anderes geht.

Erst hinterher hab ich mitbekommen, dass es vielen ähnlich ergangen ist und sie trotzdem mitgefahren sind. Die Streichung der Agrardieselvergütung war nur der Tropfen, der das Fass zum überlaufen gebracht hatte: Warum versteuert man kein Flugbenzin und lässt die Firmenautovergünstigungen unangetastet, genauso die Vermögenssteuer, Erbschaftssteuer und die Übergewinnsteuer bei Krisengewinnlern? Weil man bei den Bauern auf den wenigsten Widerstand gehofft hatte?Um also zu verstehen, um was es (in meinen Augen) wirklich geht, muss man unsere Agrarpolitik der letzten Jahrzehnte betrachten: diese ist darauf ausgelegt, auf dem Weltmarkt mitspielen zu können, ungeachtet der weltweiten großen Unterschiede in den Produktionsbedingungen und -kosten.

Die landwirtschaftlichen Erzeugnisse müssen also so billig sein, dass sie weltweit konkurrenzfähig sind, was einen großen Druck vor allem auf kleinere Betriebe und Strukturen ausübt und auch dazu beiträgt, dass unsere Landschaft immer maschinengerechter gestaltet wird (was in unserer Mittelgebirgslage schnell an seine Grenzen stößt). Um überhaupt zu solchen Preisen produzieren zu können, werden EU-weit Flächenprämien als Ausgleich bezahlt. Dabei bekommt man für ein 15 ha großes Feldstück 10 mal mehr als für ein 1,5 ha großes, wie es bei unserer Mittelgebirgslage normal ist. Dieses System, das nur die Fläche und nicht die Arbeit belohnt, verstärkt zusätzlich das „wachse oder weiche“.

Ein zusätzlicher Effekt dabei ist, dass unsere Erzeugnisse auch im Inland zu günstigen Preisen angeboten werden können, was bei den meisten Kunden Geld freisetzt, um sich z.B. Autos, Telekommunikationsmittel, Urlaube u.v.m. leisten zu können. Hat man 1950 noch fast die Hälfte der Einkommen für Nahrungsmittel ausgegeben, sind es heute gerade mal 10,8 % (und da sind die nichtalkoholischen Getränke ja auch noch mit dabei).Wir haben also alle verinnerlicht, dass Lebensmittel billig zu sein haben. Deswegen bekommen wir Subventionen. Als Ausgleich. Und was billig ist, hat wenig Wert und wird in großen Mengen täglich entsorgt (wenn man weiß, wieviel Arbeit da drin steckt, blutet einem das Herz).

Und deshalb taugen bei uns die Lebensmittel auch nicht als Statussymbol, anders als z.B. in Frankreich, wo man mit der „Ente“ zum teuren Restaurant fährt – und bei uns fährt man mit dem dicken SUV zum Discounter.
Was macht das also mit uns Bäuerinnen und Bauern, wenn Wertschätzung über Geld ausgedrückt wird, wir aber wertarme Produkte herstellen (mit viel Liebe, Arbeit und Energie)? Wenn wir teilweise vom Staat leben und entsprechenden Bürokratieaufwand betreiben müssen? Wenn wir nur noch 0,7 % des Bundesinlandproduktes herstellen? Wenn man es den vielen Zugezogenen in den Dörfern gar nicht mehr recht machen kann? Wenn wir mit immer mehr Umweltauflagen umgehen müssen, wo man sich manchmal nicht mehr sicher ist, ob man alles „korrekt“ macht? Und jeder meint, kommentieren zu können, ob das seine Richtigkeit hat, z.B. gerade heute Gülle zu fahren?

Das Streiten um den Agrardiesel ist also nur Ausdruck von Verunsicherung und Ratlosigkeit, eigentlich geht es um einen neuen Vertrag, den wir mit der Gesellschaft abschließen müssen. Wir brauchen wieder einen wertgeschätzten Platz in der Gesellschaft. Die Entfremdung zwischen Gesellschaft und den Bauern muss sich umdrehen. Wir brauchen bewusstere Verbraucher und wir brauchen aufrechte Bauern und Bäuerinnen, die wissen, was ihre Produkte wert sind. Die stolz den Verbrauchern erklären können, dass sie mit ihren Produkten nicht „nur“ Lebensmittel erwerben, sondern auch ein Stück Kulturlandschaft und – soweit ökologisch gewirtschaftet wird – auch pestizidfreies und nitratarmes Trinkwasser, aufnahmefähige Böden bei Starkregen (also keine Überschwemmungen), Biodiversität auf den Äckern und Wiesen, Tierwohl im Stall und auf der Weide u.v.m.
Und: wir lassen euch nicht verhungern. Bitte, gerne.

Uwe Neukamm, Hofgemeinschaft Vorderhaslach

Autor:

wochenblatt - Redaktion aus Eckental

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