Kriegsende vor 80 Jahren
War is over? Fort(h) mit dem Krieg

Totengedenken in der St. Anna Kirche in Forth. | Foto: Privat
2Bilder

Das Ende begann mit Briefen – so beginnt der aufschlussreiche wie beklemmende Beitrag der Eckentaler Historikerin Dr. Martina Switalski zum Kriegsende am 8. Mai 1945.

Die Briefe kamen aus Schepetowka, Belgorod am Donez, Swenigorod, Ptitsch, Djepropetrowsk, Rowno, Mogelew, Sepastopol oder Orel. „Werte Frau Zägelein, Otzmann, Holzenleichter, Köhler, Läufer, Reingruber, Schönwald, Wölfel, Nützel, Pommer, Pinzel, Munker, Redwig, Müller oder Baierlein…” hieß es auf feldgrauem Papier. Man habe die Pflicht, den Heldentod anzuzeigen. Die Bedeutung des Opfers für das ewige deutsche Volk und den großen Führer solle den Hinterbliebenen Trost sein. Manchmal sprachen die Briefe von Heldengräbern, manchmal von Vermissten auf den östlichen Kriegsschauplätzen.

War is over?

Achtzig Jahre nach dem Krieg sind die familiären Fehlstellen immer noch fühlbar, aber das historische Wissen fehlbar. Wir sind dritte und vierte Generation nach dem Massenmord unserer Vorfahren. Am 8. Mai war die bedingungslose Kapitulation in zwei Unterzeichnungsakten mit den USA und der SU. Nach dem endgültigen Ende des Zweiten Weltkriegs im August 1945 betrauerte man mehr als 60 Millionen Tote. Aus Forth waren 98. Die Todesnachrichten an die Mütter und Ehefrauen und deren Halbwaisen sind im Marktarchiv aufgehoben und werden am 8. Mai 2025 im Gemeindehaus Forth auszugsweise vorgestellt. „War is over?”

Bericht der Forther Pfarrersfrau

Die Besetzung durch die Amerikaner berichtet die Pfarrfrau Kellermann dem Dekan nach Erlangen per Brief am 30. Mai 1945. „Am 2. April 1945 als am 2. Osterfeiertag zeigten sich im Bereich von Forth die ersten durchziehenden deutschen Truppen, die sich von den vorrückenden Amerikanern absetzten. Einige Tage später, am 5.4.45, bezog der Stab eines Kriegslazarettes die ev. Schule und die Gastwirtschaft Papst in Forth. Die Offiziere dieses Stabes suchten sich Privatquartiere. […] Aus dem Pfarrhaus wurde der Telefonapparat requiriert. […] Die Pfarrfrau ließ die Gemeinde das Lied: Befiehl du deine Wege … singen, betete mit der Gemeinde den 90. Psalm und Teile des 1. Psalmes und das Vaterunser. Trotz des nahen Geschützfeuers zeichnete die Gemeinde eine große Ruhe aus. Der Sonntag verlief unruhig. Den ganzen Tag zogen deutsche Truppen, die sich vom Feind absetzten, durch den Ort. Wiederholt wurden Tiefflieger gesichtet. Eine kleine SS- Einheit bezog Quartier. Sie wartet angeblich auf das Eintreffen einer größeren SS-Einheit zur Verteidigung des Dorfes. Die Pfarrfrau lehnte es ab den SS-Kommandeur ins Pfarrhaus aufzunehmen. In den Nachmittagstunden lehrten Brände in Gräfenberg und Umgebung, daß die Kriegsgeschehnisse rasch näherkommen werden.
Die Bevölkerung bezog für die Nacht die Keller als Quartier, auch die Pfarrfamilie mit den übrigen Insassen des Pfarrhauses. Am Sonntag, den 15.4., nachts 23 Uhr hatten die ersten amerikanischen Truppen Forth besetzt.

Am Montag, 16.4., früh quartierten sich 22 Amerikaner im Pfarrhaus ein, benutzten Bad, Betten und Küche und zogen am Abend wieder ab. Von Dienstag bis Freitag dieser Woche kamen täglich vier bis sechs Mann ins Pfarrhaus, um daselbst zu nächtigen. In der Nacht vom Mittwoch auf Donnerstag drangen außerdem 3 Amerikaner nachts zwischen 1 Uhr und 2 Uhr ins Pfarrhaus ein, durchsuchten den Dachboden, die Schlafzimmer und das Studierzimmer, warfen aus Schränken und Kästen alle Gegenstände, Wäschestücke und dgl. auf die Fußböden und nahmen, was ihnen brauchbar erschien mit. […]

Am 21.4. mussten aber in Forth die Häuser in zwei Straßenzügen für die amerikanische Besatzung geräumt werden. Die Pfarrfrau nahm von den betroffenen Familien die Familien des Lektors Reinhard und die Organistin, Frl. Herbst, auf. Die Einquartierung währte von 21.4. bis 27.4.45.

Während dieser Zeit der Besetzung des Ortes durch größere amerikanische Verbände hielt ein amerikanischer ev. Pfarrer in der ev. Ortskirche mehrere sehr gut besuchte Gottesdienst für Amerikaner ab, einmal auch eine Abendmahlsfeier und vermutlich auch einen Trauergottesdienst für gefallene Amerikaner.

Die Partei hatte vor dem Eintreffen der Amerikaner ihre Amtswalter noch darin unterrichtet, was sie verbrennen und beseitigen und was sie bergen sollen. Die Bevölkerung, also die vielen alleinstehende ratlosen Frauen, erfuhren davon nichts. Sie waren schmählich im Stich gelassen worden.”

Rückkehr eines Forthers als amerikanischer Soldat

War is over? Ein amerikanischer Soldat hatte eine ganz eigene Agenda. Fritz Schnaittacher war am 9. Juli 1913 in Forth geboren worden und als Jude und Sozialist gewaltsam vertrieben worden. Seit 1939 offiziell US-Bürger, wurde er GI und im Rang eines Second Lieutenant des 157. Infanterieregiment der 45. Division der Nationalgarde von Oklahoma als I.P.W. (Interrogators of Prisoners of War – Befrager von Kriegsgefangenen) zur Erkundung der gegnerischen Taktik eingesetzt. Sein Regiment hat am 29. April das Konzentrationslager Dachau befreit und seine furchtbare Beschreibung der Leichen und Halbleichen, die er erlebte sind in „War letters” erhalten. Fritz Schnaittacher wollte nach diesem Grauen nach Forth und bat seine Einheit um Urlaub. Abends „erreichten wir das Dorf. Ich kann heute noch sehen, wie die Fenster aufgingen und hören, wie sie riefen: ‚Der Fritz ist zurück. Der Fritz ist zurück. Der Fritz ist zurück!‘ Ich kam zu meinem Haus, zu dem Haus, in dem ich geboren wurde und wir fuhren hin. Das Haus [heutiger Postclub in der Martin-Luther-Str.] war unverändert. Im Parterre war [plötzlich und neu für ihn] das Bürgermeisteramt und das Parteibüro. Oben waren Wohnräume. Ich klopfte an die Tür und eine furchtsame junge Frau schaute aus dem Schlafzimmerfenster, in dem meine Mutter geschlafen hatte. Ich konnte ihre Knie zittern hören, denn das waren Tage, in denen man Angst bekam, wenn ein Amerikaner anklopfte. Ich erkannte sie nicht. Sie war jung, und ich bat sie, ihren Vater [Paul Tröger] herunterzuschicken. Ihr Vater kam. Ich erkannte ihn sofort und er fiel mir um den Hals, denn er hatte mich trotz meiner Uniform erkannt. Er war ein alter Sozialdemokrat, sehr menschlich, ein Antinazi. Ich sagte: ‚Sie können in meinem Haus bleiben, aber heute möchte ich hier übernachten. Aber jetzt möchte ich den Fahrer meiner Mutter besuchen.‘ Er [Wolfgang Klein] war in meiner Erinnerung ein Held. Er hatte meine Mutter, wann immer möglich, beschützt. Er hatte im Konzentrationslager Dachau gelitten und ich wollte wissen, ob er aus dem Krieg zurückgekehrt war und ich etwas für ihn tun konnte. Wir fuhren zu seinem Haus, aber er war noch nicht heimgekehrt. Ich glaube heute, er war damals noch Kriegsgefangener. Aber wir ließen bei seiner Frau, die überglücklich war uns zu sehen, einige Geschenke zurück. […] Im Dorf gab es einen Ausrufer, und ich befahl dem Bürgermeister, dass er dem Ausrufer die Weisung geben solle, alles gestohlene jüdische Eigentum in das Bürgermeisteramt zurückzubringen. Dann befahl ich dem Gendarm [Hegwein], in drei oder vier Stunden wieder zurück zu sein, denn ich wolle nach Schnaittach fahren, um dort einiges in Ordnung zu bringen. Es waren nämlich Grabsteine umgeworfen und zerstört worden usw.”

Erinnerungsveranstaltung am 8. Mai 2025

Bei einer Erinnerungsveranstaltung am 8. Mai 2025 kommen aber nicht nur die Toten zu Wort. Die Initiative „Demokratie daham” will 80 Jahre nach dem Krieg fragen, welche Spuren er in unseren Dörfern und Familien hinterlassen hat: in Erinnerungen von Zeitzeugen, Briefen der Toten, Denkmälern der Gefallenen und nie geführten Gesprächen der Nachgeborenen. Der Erinnerungsabend ist gegliedert in Dokumente und Diskussion, man freut sich auf das Kommen und Gedenken vieler am Donnerstag, 8. Mai, um 18 Uhr im Evangelischen Gemeindehaus Forth.

www.instagram.com/demokratie_daham/

Totengedenken in der St. Anna Kirche in Forth. | Foto: Privat
Die Eltern Johann und Margarete Nützel, Forth-Büg Nr. 26, verloren drei Söhne. | Foto: Privat
Autor:

wochenblatt - Redaktion aus Eckental

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

87 folgen diesem Profil

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Video einbetten

Es können nur einzelne Videos der jeweiligen Plattformen eingebunden werden, nicht jedoch Playlists, Streams oder Übersichtsseiten.

Abbrechen

Karte einbetten

Abbrechen

Social-Media Link einfügen

Es können nur einzelne Beiträge der jeweiligen Plattformen eingebunden werden, nicht jedoch Übersichtsseiten.

Abbrechen

Code einbetten

Funktionalität des eingebetteten Codes ohne Gewähr. Bitte Einbettungen für Video, Social, Link und Maps mit dem vom System vorgesehenen Einbettungsfuntkionen vornehmen.
Abbrechen

Beitrag oder Bildergalerie einbetten

Abbrechen

Schnappschuss einbetten

Abbrechen

Veranstaltung oder Bildergalerie einbetten

Abbrechen

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.