Mein Wochenblatt
Prof. Fritz Sörgel

Prof. Fritz Sörgel | Foto: privat

40 Jahre wochenblatt – was denken Sie darüber? Die Redaktion hat nachgefragt.

Anderswo ist Professor Fritz Sörgel durch seriöse wissenschaftliche Publikationen zu Arzneimittelforschung, Drogen oder Doping und neuerdings auch zum Thema Corona bekannt. Eingeladene Gastbeiträge schreibt er für große deutsche Tageszeitungen wie die FAZ und den Berliner TAGESSPIEGEL. Hier bei uns im wochenblatt-Land kennt man den Heroldsberger Pharmakologen auch als leidenschaftlichen Club- und Musik-Fan, der vieles ironisch und satirisch hinterfragt – so auch die 40 Jahre wochenblatt.

40 Years of Rock‘n Roll by wochenblatt

Mal ehrlich, warum sollten sich Heroldsberger Anfang der achtziger Jahre für Eckental interessieren, nur weil da neun Gemeinden künstlich zu einem schwer zu tarierenden Konglomerat zusammengewürfelt wurden und das Kunstgebilde bis heute – von der Einwohnerzahl her – größer als unsere Vorstadtgemeinde Heroldsberg war? Und was sollte dieses Heft mit dem grünen, ovalen Logo, das damals öfters bei uns in Geschäften und bei meinen Eltern auf dem Küchentisch zu finden war; sie hatten regen Kontakt dorthin. Doch so richtig aufgefallen war mir das Heft erst, als man den zweifellos sehr verdienten Bürgermeister Hänfling des Öfteren mit dieser Amtskette auf den Titelseiten des wochenblattes bewundern konnte.

Weder in meinen fast zehn Jahren vorher im rotenFrankfurt unter dem legendären OB Rudi Arndt, noch nach meiner Rückkehr ins ebenfalls Sozi-regierte Heroldsberg sah ich derlei Umhängsel. Es wirkte komisch auf mich, fast albern. Mittlerweile hat, wie kürzlich zweimal im wochenblatt zu bewundern war, auch Heroldsberg so eine Kette, die beim hoch gewachsenen neuen Bürgermeister König allerdings doch etwas mickrig daherkommt, mehr Typ Halskette.

Vielleicht kann sich der Gemeinderat mit einer Erweiterung um zwei oder drei Glieder dieser Kette befassen. Wenn schon, denn schon! Je nach Körpergröße des Gemeindeoberhaupts kön- nen Glieder über die Jahrhunderte mal raus und dann mal wieder rein. Heroldsberg vorrausschauend, in hundert Jahren kann die Bevölkerung im Schnitt bis zu 15 cm größer werden. Über’s wochenblatt erfahren die Eckentaler das dann auch. Also rechtzeitig Zusatzglieder machen lassen!

Zurück in die Achtziger: Es war Gerhard Püchner aus der Nürnberger Straße in Heroldsberg zu verdanken, diese mediale Vorherrschaft der Eckentaler mit seinem Organ „marktblick“ brachial beendet zu haben. Für die 1991 gegründeten Kulturfreunde erwies sich Gerhards Blatt als reiner Segen, bescherte es unserem sehr ambitionierten Veranstaltungsprogramm doch seitenlange Ankündigungen, Texte bis zum Erbrechen. Ich war auch unter den Sündern.

Unser Amerikajahr 1992 (500 Jahre Amerika) mit hochwertiger Klassikmusik und dem ersten Heroldsberger Open Air-Konzert im Schlossbad waren allerdings auch wirklich Events, damals sagte man noch „Ereignisse“, die sie in Scharen rüber kommen ließen, die aus
„Eckental“. Und sie so vor Neid erblassen ließ, dass sie sich sogar selber an einem Kulturverein versuchten.

Das „Merkel/Stoiber- Frühstück“

Die vom wochenblatt haben schnell geschnallt, dass sie näher an diese Hochkultur in Heroldsberg herankommen müssen und so dürfte es wohl so eine Art Wolfratshausener Merkel/Stoiber- Frühstück gegeben haben, Ergebnis: Zusammenschluss der Blätter. Seitdem lesen die Heroldsberger regelmäßig über Eckental und umgekehrt, kultureller Austausch auf allerhöchstem Niveau! Ein erster Erfolg dieses neuen Kulturjournals war der Besuch der damaligen First Lady mit Wurzeln in Obertrubach, Christiane Herzog, 1995 an unserem Institut in Heroldsberg. Eckental – da war sie wieder, die Kette – und Neunkirchen am Brand luden Frau Herzog am gleichen Tag zu Benefizveranstaltungen ein und mit Hilfe des wochenblattes konnten im jetzt so genannten „wochenblatt-Land“75.000 DM (in Worten: fünfund- siebzigtausend) für ihre Mukoviszidosehilfe gesammelt werden.

Am 6. Dezember 1996 schrieb Heroldsberg Musikgeschichte, zumindest für die sich selber neuerdings „Metropol“(!)-Region“ nennende Gegend: Ein wahrhaftiges Ex-Mitglied der Beatles, ihr Ex- Drummer und Ringo Starr-Vorgänger Pete Best gab zusammen mit einer weiteren Liverpooler Band ein fulminantes Konzert in der Mehrzweckhalle. Vorher hatte es schon mehrere Oldies-Konzerte mit den unvergesslichen Tremeloes, Hermans Hermits, Dave Dee oder den Lords gegeben.

Kokain-Jahre und eine Sternstunde

In den „Kokain-Jahren“ um das Jahr 2000 herum reifte im wochenblatt Uwe Rahner, eigentlich Diplomdesigner, zu einem Wissenschaftsjournalisten heran, seine Titelseiten mit SPIEGEL-Qualität wie „Schnee in der Gründlach“ spielten auf unsere damaligen Untersuchungen für die WHO über Kokain in Gewässern an, oder die Reichstags-Kokain-Affäre, die bei uns ihren Anfang nahm. Nach allem, was ich weiß, blieb Rahner selber clean.

Eine Sternstunde des Heroldsberger Gemeinderates im Jahr 2002, die zu uns führende Straße auf Antrag des Gemeinderates Eberhard Brunel-Geuder in „Paul- Ehrlich-Straße“ umzubenennen, war für Rahner das Signal, sich näher mit den Leistungen des Medizinnobelpreisträgers zu beschäftigen und diese ins Bewusstsein der wochenblatt-Leser zu bringen. Ehrlich kommt auf die Titelseite und wenn‘s bei einem Musikkonzert ist, letztes Jahr zum Beispiel. Gerade in letzter Zeit, wo der Name Paul Ehrlich im Zusammenhang mit dem nach ihm benannten Institut für die Impfstoffzulassung viel in der Öffentlichkeit ist, dürfte so mancher Besucher unserer Benefizkonzerte aus dem wochenblatt-Land – gegenüber Buchenbühlern zum Beispiel – damit geprahlt haben, dass er über Ehrlichs Leistungen bestens Bescheid wisse. Wir nehmen das mindestens mal so an. Und „ka Schärz“, ich wurde mal gefragt, ob der Paul Ehrlich „bei euch da draußen beim Rewe“ wohnt. Eine weitere Titelseite „Lust auf Wissenschaft“ widmete er nach der Doktorandentagung der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft 2006 in Heroldsberg Dr. Roman Muschaweck: ein Franke, einer der erfolgreichsten deutschen Arzneimittelforscher bei der HOECHST AG in Frankfurt und – rein zufällig natürlich – mein Chef dort. Ein ganz herzliches Dankeschön dafür!

Hightech im wochenblatt

Unter den genannten Veranstaltungen der Kulturfreunde in den letzten dreißig Jahren waren zwei mit für die Zeit wegweisender Technologie ausgestattet. Vereinsmitglied und Laser-Koryphäe Reinhardt Thyzel organisierte beim Open Air 1992 eine fulminante Laser-Show. Heute kann jeder sowas einfach bei einer Firma bestellen, damals war es ein technisches Wunderwerk. Beim Konzert mit Ex-Beatle Pete Best übertrug der damalige Elektronikstudent an unserem Institut, Harald Gernhardt, dieses über das Internet aus Heroldsberg in die weite Welt – als nur wenige wussten, was Internet überhaupt ist. Das ZDF adelte Gernhardts Leistungen mit einer Ankündigung des Ganzen im Morgenmagazin. Er ist später auch Bürger von Heroldsberg geworden. Solche brauchen wir hier!

Und nochmal Technik-Avantgarde: Die „Kulturfreunde Heroldsberg“ besaßen auch den ersten superteuren Beamer in der Region, glauben wir jedenfalls auch heute noch. Inzwischen zeigt jeder seine Konfirmationsbilder mit einem 500 Euro-Gerät.

In den letzten vier Jahren hob Uwe Rahners Musik-Expertise bei unseren Open Air-Konzerten im Institutsgarten in ungeahnte Sphären ab, er traf dabei internationale Größen, unter denen auch einer der größten Songschreiber und seit 2014 Stammgast bei uns war: Albert Hammond. Dieser besuchte 2014 die wochenblatt-Redaktion. Danke an den wochenblatt-Herausgeber Andreas Unbehaun, der in seinem Blatt auch für diese feuilletonistischen Seiten Platz hat.

Ärger gab’s auch mal

Richtig Ärger gab es allerdings auch mal, im Juni 1994 war das. Eine Gruppe Heroldsberger Ureinwohner, um die Kirche herum lebend, drängten mich, als „waschechten Heroldsberger“ so eine Art Volkstribun zu spielen und dafür zu sorgen, dass die Glocken in der St. Matthäus Kirche nachts wieder schlagen dürfen. Die waren ohne Begründung abgestellt worden. Mein ziemlich aggressiver „Offener Brief“ an die Kirche im wochenblatt führte zu heftigen Reaktionen der Kirche; indes, sie läuteten dann wieder – bis heute. Ein Erlebnis im Gefolge dieses Eklats wird mir lebenslang in tiefer Erinnerung bleiben. Drei Monate später sprach mich auf der Herolds- berger Kirchweih eine zugezogene Frau, also keine Ureinwohnerin, auf der Kirchweih an und bedankte sich mit rührenden Worten für meinen Einsatz; sie könne nämlich nachts nicht gut schlafen und sie habe das Schlagen der Glocken so vermisst. Was ich in dem Moment nicht wissen konnte: Sie hatte da schon Krebs und verstarb wenige Monate später.

Sechsundzwanzig Jahre danach darf man das im wochenblatt anonymisiert schreiben, denke ich.
Fritz Sörgel, Heroldsberg

Autor:

wochenblatt - Redaktion aus Eckental

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