6. DIGITALE VORLESE-/ERZÄHLSTUNDE FÜR ALLE LESER, VORLESER UND ZUHÖRER, JUNG UND ALT, SENIOREN/MITARBEITER IM SENIORENZENTRUM MARTHA-MARIA ECKENTAL-FORTH
ERINNERUNGSKULTUR: 17. JUNI 1990: Abriss Grenzmauer in Mödlareuth, ein Dorf in Oberfranken

Mödlareuth,Oberfranken,17. Juni 2020:roter Mohn an ehemaliger Grenzmauer zwischen Ost- und West-Mödlareuth,genannt "Little Berlin" | Foto: M.Schi.
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  • Mödlareuth,Oberfranken,17. Juni 2020:roter Mohn an ehemaliger Grenzmauer zwischen Ost- und West-Mödlareuth,genannt "Little Berlin"
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Liebe Leser, Vorleser und Zuhörer!

Am 17. Juni 2020 erinnerte der Bayerische Rundfunk an den 17. Juni 1990, als in Mödlareuth, einem Vierzig-Einwohner-Dorf in Oberfranken, bei einer kleinen Gedenkfeier zum 17. Juni 1953 die damaligen Bürgermeister von Mödlareuth-Ost und Mödlareuth-West mit einem Schaufelbagger einige Meter der drei Meter hohen Betongrenzmauer abgerissen haben. Eine mutige, nicht genehmigte Aktion, von der vorher niemand etwas wissen durfte, außer dem Mann, der den Bagger zur Verfügung gestellt hat. Die Menschen lagen sich mit Freudentränen in den Armen und es wurde gefeiert, auch mit den von Allen gleichermaßen geliebten Bratwürsten.

Auch in der Frankenschau des Bayerischen Fernsehens wurde am 17. Juni 2020, 30 Jahre nach den Ereignissen in Mödlareuth, über die Geschichte des kleinen Ortes in Oberfranken, malerisch an der Grenze zwischen Bayern und Thüringen gelegen, mit Interviews von Zeitzeugen aus dem Dorf berichtet. Auch einer der beiden damaligen Bürgermeister, die am 17. Juni 1990 unter dem Jubel der Dorfbewohner mit dem Bagger ein paar Meter der Mauer abgerissen hatten, wurde interviewt.
Bereits Ende 1990 wurde von Ehrenamtlichen das Deutsch-Deutsche Museum Mödlareuth gegründet mit dem Ziel, die Geschichte der deutschen Teilung darzustellen. Nicht nur Betonmauer, Stacheldraht, Metallgitterzaun, Wachttürme und anderes werden dort gezeigt, sondern es sollen auch die politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und alltagsgeschichtlichen Aspekte der Teilung vermittelt werden. Auf dem Museumsgelände sind 100 m der damaligen Betonsperrmauer, diverse Sperranlagen, Hundelaufband, Peitschenlampen und Wachttürme zu sehen. In den Museumsgebäuden wird ein Film gezeigt und es sind Erinnerungsstücke und Informationstafeln mit Fotos und Kommentaren von Zeitzeugen zu sehen. Wenn man den Film und die Fotos in der Museumsausstellung sowie die Originale der historischen Uniformen, der Grenzfahrzeuge aus Ost und West, der in Sekunden verlegbaren Straßensperren, die für den Flüchtling tödlich sein konnten, und andere originale Gegenstände sieht und dazu die Informationen, Kommentare und Zeitzeugenaussagen liest, kann es einem kalt über den Rücken laufen an diesem Ort des Erinnerns an die deutsche Teilung und des Gedenkens an deren Opfer. 

Zur Geschichte des Ortes: Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 gehörte der thüringische Teil zur sowjetischen und der bayerische Teil zur amerikanischen Besatzungszone. Am 13. August 1961 kam es, beginnend in Berlin, in ganz Deutschland, und so dann auch in Mödlareuth, zum Bau der Betongrenzmauer. Mödlareuth wurde von den amerikanischen Soldaten „Little Berlin“ genannt, weil die innerdeutsche Grenze, wie sonst nur noch in Berlin, mitten durch den Ort, entlang dem Tannbach, verlief. Nach der Gründung der beiden deutschen Staaten 1949 wurde bis zur Wiedervereinigung der thüringische Teil des Ortes dem Territorium der DDR und der bayerische der Bundesrepublik zugeordnet.
Familien und Freunde wurden getrennt, die Nachbarn von der einen Seite konnten die von der anderen Seite nicht mehr im Gasthof des Ortes zwanglos auf ein Bier treffen, Bauern konnten ihren Acker auf der anderen Seite hinter der Mauer nicht mehr bestellen, Kinder konnten nicht mehr zusammen spielen, Verliebte sich nicht mehr sehen, miteinander reden, sich umarmen ... und vieles andere mehr war nicht mehr möglich. Es war sogar verboten, sich über die Mauer hinweg zuzuwinken. Die Auswirkungen auf das menschliche Miteinander waren schmerzhaft, grausam, unvorstellbar und sie konnten auch tödlich sein.  

Unwillkürlich kam mir das Lied „Die Gedanken sind frei …“ in den Sinn, ein Lied, das ich auch in meinen Vorlese- und Erzählstunden im Seniorenzentrum Martha-Maria in Eckental-Forth schon oft mit den Bewohnern gesungen habe.

Einige Fotos hier im Anhang vermitteln einen Eindruck von unserem interessanten Tagesausflug nach Mödlareuth in der Nähe von Hof, eine Stadt in Oberfranken, die sich auch wegen der schönen landschaftlichen Umgebung für einen Ausflug lohnt, nicht nur in der Corona-Zeit.

Liebe Leser, Vorleser und Zuhörer, wenn Sie, als Zeitzeuge, es möchten, dann lassen Sie sich bitte anregen, Ihren Gedanken und Erinnerungen freien Lauf zu lassen.
Und wenn die jüngeren Leser es möchten, dann macht euch bitte weiter kundig über die Zeit der Teilung Deutschlands in Ost und West, die Gründe und die direkten Auswirkungen auf die Menschen.
Mir ist nach dem Besuch des Museums und einem ausführlichen Gespräch mit einem Mödlareuther Ehepaar, in deren Anwesen vor einigen Jahren der Dokumentarfilm "Tannbach - Die Dokumentation" gedreht wurde, mal wieder eindringlich bewusst geworden, wie schmerzhaft und unmenschlich die damaligen politischen Verhältnisse waren. Dieses dunkle Kapitel der deutschen Trennungsgeschichte haben die Mödlareuther Zeitzeugen aus nächster Nähe miterlebt – die drei Meter hohe Betonmauer verlief unmittelbar vor ihrem Gartenzaun oder durch ihr Grundstück -, und bei ihren Schilderungen und bei der Besichtigung vor Ort hat sich bei mir Betroffenheit und auch eine große Dankbarkeit eingestellt.

Bleiben Sie gesund und behütet!
Ihre Annegret Schildknecht

Hinweis: Dieser Beitrag wird im Seniorenzentrum Martha-Maria Eckental-Forth zum Lesen, Vorlesen und Zuhören verteilt.

Alle Beiträge zu meinen digitalen Vorlese- und Erzählstunden finden Sie hier

Autor:

Annegret Schildknecht aus Eckental

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