Erinnerungen an den Krieg
Interview mit Anni Gebhardt

"Toute la famille" - die ganze Familie - stellte sich 1968 zu einem Familienfoto, als die ehemaligen Kriegsgefangenen mit ihren Familien in Dachstadt zu Besuch waren. | Foto: Privat
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  • "Toute la famille" - die ganze Familie - stellte sich 1968 zu einem Familienfoto, als die ehemaligen Kriegsgefangenen mit ihren Familien in Dachstadt zu Besuch waren.
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Im Jahr 2016 hat Dr. Gerhard Beißwanger ein Interview geführt mit Anni Gebhardt, geb. Zeißler aus Unterlindelbach und zu ihrem 88. Geburtstag als kleines Buch veröffentlicht. Es sind die Erinnerungen einer bemerkenswerten Frau - unter anderem an den Krieg. Ein Zeitzeugnis hier aus dem wochenblatt-Land. Nun ist Anni Gebhardt am Montag, 28. Februar, verstorben. In Erinnerung an eine bemerkenswerte Frau veröffentlicht das wochenblatt hier einen Auszug aus dem Buch.

Bomben auf Brand, Pettensiedel und Ebach

Dr. Beißwanger:
"Dann ist es mit den Bomben passiert?" brachte ich sie wieder zum Thema zurück.

Anni Gebhardt:
"Ach ja, da bin ich noch in Dachstadt ("Dogsett") daheim gwesn."

Dr. Beißwanger:
"Der Bombenangriff war im März 1944 ?"

Anni Gebhardt:
"Ja, am 31. März 1944 um halb 2 Uhr nachts, des kann ich dir genau sagn. Des hat sich alles über uns abgspielt. Da haben sie‘s net nei glassen auf Nürnberg, des is alles niedergschriem, hast des net scho amol glesen?"

Dr. Beißwanger:
"Doch, vom Fink. Wir haben die Feuer in Brand von unserer Wohnung aus gesehen. War hier bei Euch auch etwas kaputt?"

Anni Gebhardt:
"In Dogsett und in Lindelbach net so, aber in Ebach, kennst doch Ebi dou, da ham Scheunen brennt und bis Dogsett ham wir die Viecher brülln hören, bei Nacht hörst du des. In Affalterbach is a Stodl abbrennt, es warn alles Brandbomben, wou da gfalln sin. In Pettensiedel sin schwere Bomben ins Dorf rein. Da war der Finni ihre Mutter, die wo bei uns Magd war, die war tot. Die Gschwister von der Finni warn tot und ihre Mutter hat sie tot an der Hand ghabt. Die haben auch nur so ein altes Häusla ghabt, das Fahrrad ist dort glehnt, wöis halt früher üblich war, und das Fahrrad war der Finni ihr Glück. Die Mutter war tot und die Finni hams um halb 10 am anderen Tag früh raus unterm Fahrrad. Das Haus war alles kaputt, die Gschwister waren alle tot und sie, 34 geboren, ist davon kommen vom Fliegerangriff. Sieben Tote hats gem, da waren auch zwei Kinder aus Nürnberg drunter, die saßen auf dem Sofa und waren durch den Luftdruck getötet.

"Am andern Tag sin sie dann nüber, unsere Leit ham auch net gwusst, was alles gscheng war. Der Bezold von Pettensiedel, der Milchbauer, hat immer die Milch gfahrn. Der hat gsagt: Auf Pettelsiedel müsst ihr, das ist ja dou gar nichts bei euch, da hats halt amol Ziegel verweht auf die Dächer oder es is amol a Bombn im Wald nei, im Wald is so a Trichter. Hats amol a Eichn umghaun, lauter so a Woar, was man dann festgstellt hat, des is ja alles net so schlimm.

Ein abgeschossener Flieger

Aber jetzt homs dann gsacht: dou bei Rödlas im Skigebiet, da hinten, dort liegen die Flieger, abgschossne Kanadier. Die Pettensiedler hab ich net ogschaut, da war ich net drüben. Aber die Leute sind am anderen Tag hinter nach Rödlas, weißt scho, a weng Neugierige, a weng Männer. Mei Vater war auch dabei, der Jakob Friedrich und sei Bruder, der Hans, der war so ein Bou und die andern Madla net. Aber ich war immer scho a weng, wie will ich denn sogn, neugierig. In Großenbuch war die Abschussstelle von dem viermotorigen Bomber, weil da die Motoren glegen sin. Die Kanadier waren verstreut, ihre Uhren sind um halb 1 Uhr stehen bliem. Die warn nicht auf einem Eck gleng. Da war ein Topinarnburacker und ein Apfelbaum.

Ich hab das alles miterlebt. Die sind runter wie wenn du einen Ballen hinwirfst, dann siehst du einen Patscher, wo er hingfallen ist. Sie ham gsagt, nach Gräfenberg ins Feuerwehrhaus kommen die, die sin recht verkratzt. Da sin dann die Namen alle aufgschriem worn, das ham die alles erzählt. Der den Abschuss gmacht hat, des war a Gwüfelter, Jahrgang 1916, der is immer frecher worn, der deutsche Jäger. Erst hat er soundsoviel, dann so viel, dann so viel abgschossn, das hat der gekonnt. Ja, der war geschickt, wie hat er denn geheißen, das muss ich noch haben, ich hab nichts weggeworfen".

Französische Kriegsgefangene in Dachstadt

Nach einer Pause ging es dann weiter und Dr. Beißwanger fragte Anni:
"Du hast schon oft von den Franzosen erzählt, wie war das denn mit Euren Kriegsgefangenen?"

Anni Gebhardt:
"Ja, mit denen hab ich gearbeitet, 4 Jahre lang ab 1941. Einer wollte, dass ich französisch lern. Wenn ich das gwusst hätt, dass das an Wert hat, hätt ich auch mitgmacht."

Dr. Beißwanger:
"Weißt Du noch, wie der hieß?"

Anni Gebhardt:
"Ja, André hat der letzte gheißen und der erste Jean. Da is amol a Wechsl gwesn, weil der Jean, das war a Junger, der heim wollt. Der hats probiert, der wollt ausreißen, des hat ihm zu lang dauert da. In an Waschtrog hat er sei Montur versteckt ghabt und sei War, sei Zivilsachn. Weil die ham "Kriegsgefangene" drauf gschriebm ghabt, auf einem war ein K und auf an andern ein G, so ham die rumlaufn müssn. In Dogsett war das Gefangenenlager. In Igensdorf waren auch Kameraden, einer davon, sein Freund, der deutsch konnte, hat ihn verraten, wahrscheinlich, weil er Angst um ihn ghabt hat. Da kam er nach Kleingeschaidt. Der Jean war a Weinbauer aus Montpellier, der hat immer gsagt, er tut die Mimi lieben, aber die Eltern ham gsacht, er soll die Francette heiraten. Für den Jean ham wir den Andre von Kleingeschaidt kriegt. Der hat gsagt, er is nur a Taglöhner, der war von der Normandie, er möchte auch wieder nach Haus kommen. Der Jean hat net gern gärbert. Wenn sei Zeit rum war, hat er den Kittel über sei Schulter gworfen und ist ganger, selbst wenn die Mutter grufn hat "die Köi ham scho wieder alles gfressn." Der Andre is erst ganger, wenn die Viecher gfüttert warn. Der Vater hat ihn beobacht, der hat sei Woar sauber gmacht.

Beim Wirt hams gschlafn in dem großen Saal. Des war das Sammellager für Dachstadt, Igensdorfund Guttenburg. Und des weiß ich noch, da hat ein Bauer 25 Mark pro Gefangenen zahlen müssen, des weiß kanner mehr wie ich. Ich war die Tochter vom Bürgermeister und ich hab immer für vier Wochen 25 Mark einsammeln müssen. Wir ham aber nur alle zwei Monat 50 Mark eingsammelt, da hab ich immer meine Freundin dabei ghabt, wir ham halt auch unsere Sonntage gwollt, weißt scho, wenn man jung ist. Aber des war immer so lästig, des Geld kassieren ist keine so schöne Arbeit. Mein Vater hat das Geld abgeben müssen, wozu, weiß ich net, behalten hat er‘s net. Alle Bauern ham Franzosen ghabt."

Dr. Beißwanger:
"Ich weiß, dass die Deutschen mit dem Marschall Petain vereinbart haben, dass während des Waffenstillstandes die französischen Kriegsgefangenen, ich glaub, es waren 1,5 Millionen, in Deutschland bleiben, arbeiten müssen, aber gut behandelt und dafür bezahlt werden."

Anni Gebhardt:
"Ach so, darum, das Geld werden die dann auch kriegt ham. Und die jungen Franzosen ham auch gern amal a jungs Madla gsehn, aber dazu kann ich nix sagn, ich war zu jung, ich hätt mich des net getraut.

Die Franzosen ham ihre Arbeit gmacht und ham am Tisch mit gegessen und nachts sin sie in ihr Lager zum Wirt vor. Da warn ca. 10 bis 15 von Dachstadt und genau so viel von Guttenburg und ca. 7 bis 9 von Igensdorf. Sie ham Briefe in die Heimat gschriem und ham von dort oft Pakete kriegt. Da war auch manchmal Schokolade drin. Ich weiß net, was sie alles gschickt kriegt ham, aber am Samstag hams ihr Essen selber kocht. Und wenn einer amol krank war, hab ich dem das Essen bringa möin, wos halt gehm hat.

Wie wir amol Bindla ghaut ham, des war 1945, wie die Tiefflieger rumgflogn sin, ganz runter, dass‘d die Gsichter gsehn hast, hat der Andre gsacht: Anni, jetzt sieht man es doch, dass ihr den Krieg verliert. Bist a jungs Madl, wennst kommst, ich helf dir jederzeit, hat der gsagt. Hab ich gedacht: siehst, der denkt, wir verliern den Krieg und dann brauchn wir sie, dass sie uns helfn. Der hätt mir wirklich gholfn. Der hat sei Woar da gmacht, des was schö von ihn."

Da war noch einer da, der war aus Straßburg, der war Justizbeamter oder so was, der hat auch scho mehr deutsch könnt. Die ham ihren Reden nach immer Briefwechsel ghabt. Ob die andern auch noch Briefe gwechselt ham, weiß ich auch net so genau. Die warn halt da und ham a wenig geredet und ham die Reni dabei ghabt. Dann sin sie ins Wirtshaus und dort hinten wieder in ihrn Saal. Die ham halt alles das gsehn, wie‘s bei uns zugangen is.

Weißt, was einmal einer gsagt hat, der beim Kohlersbauern war: Deutsche Frau muss mehr arbeiten wie ein Mann. Die alte Kohlersbäuerin, die hat Brot backen. Aber Brot backen alleine, wenn das einer alleine machen muss, das kannst du gar nicht glauben. da musst du die Laibe rausmachen, dann müssen sie raustragn wern, dann müssen die andern eingschossn wern in den Ofen. In den Spiegel hams no net reingschaut, hat er gesagt, weil die Gsichter schwarz vom Ofen warn und weiß vom Mehl, da wird‘s halt a mal gschwitzt ham und wird weißes Mehl an die Händ ghabt ham, da hat sie dann drüber gwischt. Das hat er gsagt, der Franzos.

So wars, wir ham das ja erlebt."

Freundschaftsbesuch nach dem Krieg

Lange nach dem Krieg im Jahr 1968 kamen die Franzosen als Touristen mit ihren Familien zu Besuch nach Deutschland: der Jean, der Andre, der Justizangestellte Adrien Bechard, der beim Kohlerbauern/ Schmidt gearbeitet hatte, schon zum zweiten Mal, und noch einer aus Lothringen, der als Dolmetscher fungierte.. Sie hatten u a. Nürnberg besucht, auch Forchheim und erst dort erfahren, wo dieses Dachstadt denn liege. Für Dachstadt war das ein Ereignis der besonderen Art, über das in der Zeitung mit Fotos ausführlich berichtet wurde. Sie haben sich durchgefragt und erkundigten sich nach Dachstadt und dem Vater.  

Anni Gebhardt:
"Da kumma die amol und besuchen uns. Kummt mei Reni und klopft, das war im Herbst, und sagt: geh mal raus, dreh mal dei Hoflicht an, heut bring ich dir einen, ob du den kennst! Und das war der Jean, der Weinbauer mit seiner Frau und zwei Bounm, die ham alle zwei studiert. Der hat die Reni nach der Anni gfragt. Und der Andre, der ältere auf dem Bild, der sich immer mit dem Vater unterhalten hat."

Dr. Beißwanger:
"Dein Vater hat doch nicht französisch gekonnt?"

Anni Gebhardt:
"Na, aber die ham sich scho verstanden. Vier Jahre warn die immer mit drinnen. Wenn man da am Tisch zusammen gsessen hat, da hams sie gsehn, wie‘ s überall zugeht; auch die andern, der Max beim Kohlersbauem, der Lami beim Friedl , beim Hodlbauem/Maußner und beim Schneiderler/Ulm. Also, ich hab die scho alle kannt, die Franzosen. Hab amal gsagt: ferme la porte, das heißt: mach dei Tür zu. Ich hab mich mit denen untethalten können.

Und zum Jean hab ich jetzt gsagt: ich hab damals gedacht, du hast‘s so wohl oder: du willst gar nimmer heim, du hast a Polin oder was, hams gsagt, und bist du doch wieder heim. Dann hat er so gemacht: "pa pa pa ... ich soll mei Goschn haltn".

"Aber er hat dann auch gsagt, sie haben sich gefreut, sie wollln den Vater wiedersehen, aber mein Vater hat nicht mehr glebt, dann sind halt andere Leut da_gwesen, meine Schwester und dann hat er die gfragt, wo ich bin, weil er mich ja kennt hat. Da hat sie gsagt, das kann ich dir schon zeigen, da fahrn wir halt mal rüber. Da hat sie ihn mir bracht. Und danach bin ich mit dem Fahrrad runtergfahrn. Sie ham sich abends im Wirtshaus getroffen mit die Franzosen. Da ham sie dann ausgmacht, sie kommen amol, aber das sagen die Dogstetter so, da denken die gar nicht dran, die ham doch keine Zeit".

Autor:

wochenblatt - Redaktion aus Eckental

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