Eindrücke und Fakten von Dr. Martina Switalski
Landschaft mit Kanone: Dürer in Eschenau

Die Eckentaler Historikerin Dr. Martina Switalski vor der „Landschaft mit Kanone“ in der Albertina Wien. | Foto: Privat
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  • Die Eckentaler Historikerin Dr. Martina Switalski vor der „Landschaft mit Kanone“ in der Albertina Wien.
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Albrecht Dürers „Landschaft mit Kanone“ von 1518 katapultiert unsere Gemeinde wie ein Geschoss in den Status auf höchster Ebene kunstwürdig zu sein. Der Zünder – um im Bild zu bleiben – war Dr. Christof Metzger, der beim Neujahrsempfang lupenrein deduzierte, dass Dürer den Lindelberg mit vorgelagertem Dorf 1518 vom Eschenauer Schloss aus gemalt hatte. Mich hatte die Neugierde nach Wien getrieben, um das Kunstwerk, eine Radierung von 22x32,6 cm zu studieren, die unserer Gegend großes Renommee verspricht.
Wie kam der Chefkurator der Albertina in Wien darauf Albrecht Dürer in Eschenau nachzuspüren?
Wichtigstes Indiz war die Freundschaft mit dem gleichaltrigen Jakob Muffel, den Dürer in Muffels Sterbejahr 1526 als gewissenhaftes Nürnberger Ratsmitglied und ehemaligen Bürgermeister in den Jahren 1502 und 1514 portraitiert hat. Wir sehen ein ausgeprägtes Relief der Gesichtszüge, einen strengen Mund und starre zielgerichtete Augen, deren Glanz und Präzision dem weichen, dichten Pelzkragen als äußerem Zeichen der Patrizierschaft und dem gestärkten Hemdkragen brillant folgen. Ihre Freundschaft im gegenseitigen Respekt ist seit 1508 belegt. Dürer brachte etwa von seiner berühmten Niederlandereise Geschenke für Jakob Muffel mit. Ob er das Schloss in Eschenau schon vor 1518 einmal besucht hat, weiß man nicht. Er wird aber den 47jährigen Jakob Muffel mit seiner neun Jahre jüngeren Frau Agatha Schlüsselfelder und einige von deren acht überlebenden Kindern angetroffen haben. Er kam auch in einem frisch renovierten Haus an. Die Muffel hatten 1383 die eine Hälfte Eschenaus und 1504 die zweite von den Hallern übernommen, so dass man 1376 als böhmisches Lehen Stadtrecht und 1430 eine eigene Halsgerichtsbarkeit erlangt hatte. In den Markgrafenkriegen 1449 und 1553 und im Landshuter Erbfolgekrieg 1504 war Eschenau schwer beschädigt worden, so dass Jakob das Schloss ab 1512 umbauen und renovieren ließ.
Die beeindruckende Expertise von Dr. Metzger führte allen Anwesenden des Neujahrsempfang eine kunstgeschichtliche „Fingerübung“ vor – so die Worte des Vortragenden. Im bayerischen Urkataster von 1821 hatte er das Schloss mit Wassergraben, die im 14. Jahrhundert von Kirchröttenbach abgetrennte Bartholomäuskirche, die 1298 durch eine päpstliche Ablassurkunde belegte, aber abgerissene Nikolauskapelle, das Frühmeßhaus und das Schloss der Familie Hetzelsdorfer auf dem Weg nach Brand gezeigt und mit einer historischen Fotografie von Fritz Fink kontrastiert.
Wer jetzt einen Blick auf Dürers „Große Kanone“ von 1518 wirft, dem fällt v.a. der Lindelberg mit seinen steilen Abhängen auf beiden Seiten und der abgeflachten langgezogenen Form auf. Auch wenn Dürer den Berg deutlich überhöhte, so dass er wie ein „Tafelberg aus Südafrika“ (Metzger) zu wirken vermag, ist die landschaftliche Konstante unübersehbar. Dr. Metzger zog zum endgültigen Beweis seiner These des Eschenauer Dürers auch eine Zeichnung aus dem Moskauer Puschkin-Museum heran und kolorierte deren Gebäude.
Im Puschkin-Museum lagert seit dem Zweiten Weltkrieg wertvolle Beutekunst der Rotarmisten, die bis heute für die Forscher unzugänglich bleibt. Dr. Metzger fand in der dortigen Sammlung des Rotterdamer Museums Boijmans Van Beuningen eine Silberstiftzeichnung des 16. Jahrhunderts, die zwar im desolaten Zustand mit Stockflecken ist, aber im zarten Silberstift Dürers Vorstudie zur „Großen Kanonone“ von 1518 in der Originalansicht mit dem Schwedenhaus zur Rechten darstellt.

Was sieht man nun im Original?

Wir sehen in der linken Bildhälfte ein sogenanntes Schwedenhaus, wie die ältesten Bauernhausformen im Nürnberger Umland vor und während dem Dreißigjährigen Krieg genannt wurden. Über dem niedrigen Erdgeschoß erhebt sich ein steiles, strohgedecktes Vollwalmdach. Der Dachstuhl stand auf einer innenliegenden Ständerkonstruktion und nicht auf den Außenwänden, so dass es gegen Sturm, Regen und Kälte geschützt war. Die Fenster waren klein, zusätzliches Licht fiel durch die beiden Firstöffnungen – im Volksmund Eulenlöcher genannt – in das Haus. Oft lebten Mensch und Vieh unter einem Dach. Von diesem strohgedeckten Wohnstallhaus führte ein Weg zur Bartholomäus-Kirche mit dem charakteristischen Dachreiter. Die profanierte Nikolauskapelle hinter dem Schwedendach, die in der in Moskau gelagerten Vorstudie noch sichtbar ist, wird im Original durch einen Baum ersetzt.
Im Vordergrund des Stichs von 1518 bildet Dürer eine kuriose Szene mit der titelgebenden Kanone ab, die eine Begegnung zwischen Orient und Okzident herstellt. Das gewaltige Geschütz wird von mehreren Landsknechten bewacht und mühevoll den Hügel zum Schloss hochgezerrt. Die Artillerie hatte seit der ersten großen Nutzung in den Hussitenkriegen (1419-1436) und durch Sultan Muhammad II vor Konstantinopel 1453 v.a. an Beweglichkeit der Feldgeschütze und durch die Herstellung von geschmiedeten glatten Eisenrohren variablen Geschossen gewonnen. Mit so genannten Kartätschen also Büchsen, die mit Kugeln, gehacktem Blei, Eisen, Nägeln u. Ä. gefüllt waren, konnten mit einem einzigen Schuss mehr als 20 Mann getötet werden. Das gezeigte Modell war um 1518 schon veraltet und könnte aus dem Nürnberger Zeughaus stammen, um die Wehrhaftigkeit der Eschenauer Muffel zum Ausdruck zu bringen. Im Vordergrund begegnen sich osteuropäische Honoratioren mit Kopfbedeckungen, die an osmanische oder ungarische Herkunft gemahnen und das Geschoss offensichtlich beurteilen.
Metzgers Hinweis auf die Drucktechnik hat meine kleine geheime Hoffnung, dass Dürer aus dem Eschenauer Schloss heraus die Büg in Forth gemalt haben könnte leider aufgehoben. Dürer hat die vor ihm liegende Szenerie seitenrichtig auf die Druckplatte übertragen, so dass das Motiv bei der Ätzung wie ein Stempel im Abdruck seitenverkehrt erscheint. Das rechts oben erscheinende Schloss ist leider nicht die Büg, sondern ein wüst gefallenes Schloss, das in einer aus dem Jahre 1504 stammenden Beschreibung der Nürnberger Landschaft zu „Pranntt“ als „Jorg Hetzelstorfferisch“ erscheint, der es 1561 – also nach Dürer - an die Gotzmann von Büg verkaufte. Große Enttäuschung herrscht inzwischen in Forchheim, da Metzgers Ausführungen dem Walberla, das bisher als Landschaftskulisse des Dürerstichs galt, den Rang abläuft.
Wir sind Herrn Dr. Metzger für seinen weltenüberspannenden Ehrgeiz der Identifizierung dieses Dürerstiches und der damit zusammenhängenden kunstgeschichtliche Fundierung unserer Heimat jedenfalls zutiefst dankbar. Martina Switalski

Autor:

wochenblatt - Redaktion aus Eckental

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